Der uns in den Schlaf wiegende Nachtzug fuhr uns von Prag direkt nach Poprad südlich der Tatra, von wo aus wir uns auf die ca. 40 Kilometer lange und fast 3000 Höhenmeter nach oben führende Tour begaben.
Tag 1:
Ganz in der früh und von der aufgehenden Morgensonne begleitet erreichten wir Poprad, von wo aus wir die elektrische Tatrabahn in Richtung Strbske Pleso nahmen. Dieses Örtchen war jedoch als Zielpunkt unserer Wanderung eingeplant, wir stiegen bereits in Stary Smokovec aus. Zu diesem Zeitpunkt hat der Kirchturm noch nicht einmal 8 Uhr geschlagen, dennoch begaben wir uns direkt auf unsere Etappe, die uns über die die Hrebienok-Hütte und durch alle vorhandenen Vegetationszonen der Tatra auf 2000 Meter über Normalnull bringen sollte. Der kontinuierliche Anstieg über 1000 Höhenmeter war gesäumt von umgefallenen Bäumen (einem Orkan vor zehn Jahren geschuldet), Wasserfällen, Geröllfeldern und einem steilen Schlussanstieg zur Téryho-Hütte, die uns als Quartier für die erste Nacht diente. Der Regen am Schlussanstieg sollte uns auf das einstellen, was uns am dritten Tag erwartete. Dazu aber später mehr...
Durch den zeitigen Start waren wir bereits am sehr zeitigen Nachmittag an der Hütte, sodass wir uns ausgiebig dem Ausruhen, Krautsuppe essen, Tee trinken, Landschaft fotografieren und Skat spielen widmen konnten. Vor allem das Letztere wurde zum steten Zeitvertreib in den Hütten, nur manchmal unterbrochen von Idioten-Maumau oder die Abwandlung Idioten-Uno. Je später der Tag, desto mehr Wolken zogen vom Tal in die Berge. Die graue Suppe inklusive Regen verhieß für den nächsten Tag erstmal nicht viel Gutes, also hieß es Abwarten und Tee trinken. Die Hütte war von der spartanischen Sorte. Kunstlicht gabs erst, als man drinnen schon fast nix mehr erkannt hat; der Wasserdruck aus dem Wasserhahn schwankte zwischen "Fürs Gesicht waschen reichts" und Null. Den Eimer für die Klospülung sollte man auf jeden Fall schon vor dem Gang unter den Wasserhahn gestellt haben. Eine Dusche war sowieso nicht vorhanden. Die Nacht war auszuhalten, aber die drei schnarchenden Mitbewohner des Sechs-Mann-Zimmers hielten einen doch immer mal wieder auf Trab.
Die nassen Klamotten vom Vortag trockneten einigermaßen gut über die Nacht, sodass wir uns nach einem spartanischen Frühstück wohl als erste auf die nächste Etappe machten. Es warteten ebenfalls 1000 Höhenmeter auf uns, aber in einem merklich anderen Profil. Georg hatte einen Weg über drei Sättel herausgesucht, der sehr viel Abwechslung zu bieten hatte. Der dichte Nebel des Vortags war zwar am Morgen bis zum ersten Sattel steter Wegbegleiter, dennoch blieb es den ganzen Tag trocken, die meiste Zeit war der Kampf Sonne gegen Wolken vom Erfolg der Sonne gesegnet.
Von der Hütte aus gab es zwar nur einen Pfad hinauf zum ersten Sattel, der war auf Grund des Nebels und der Schlaftrunkenheit aber recht schwer zu identifizieren. Irgendwann haben wir es dann hinbekommen. Die ersten Höhenmeter aus der Kalten hatten es schon schwer in sich, jedoch wurde das noch vom Endstück bis hinauf zum Sattel getoppt. Hier erwarteten uns eiserne Steigbügel und Ketten, eine ganz schöne Herausforderung mit schweren Wanderstiefeln und großem Rucksack hinten drauf! Zudem war ja eigentlich von Wandern die Rede, nicht Klettern... Mit leicht weichen Knie und den Blick am besten immer nach oben gewandt erreichten wir dann den Sattel. Glücklich und zufrieden und mit Aussicht auf den blauen Himmel verschnauften wir eine Zeit lang am Sccheitelpunkt. Inzwischen überholten uns dann auch schon einige Späterstarter, darunter eine Gruppe bergerfahrener Tschechen, deren Tempo wir nie und nimmer halten wollten. Nichtsdestotrotz trafen wir uns etwas talabwärts an einem traumhaft gelegenen See zur Rast wieder. Das kristallklare blaue Wasser verführte zu einem kurzen Fußbad, dessen Temperatur zum sofortigen Abbruch der Aktion.
Über eine landschaftlich reizvolle Hochebene gelangten wir dann zur Räuberhütte, in der wir uns mit einem Zuckergebräu namens Tee aufwärmten und Ansichtskarten in die Heimat schrieben. Wir zweifelten auf Grund der Abgeschiedenheit daran, dass die Karten jemals ankommen werden. Der heutige Blick in den Briefkasten belehrte mich aber eines Besseren!
Nach dem Zwischenstopp machten wir uns zum zweiten Sattel auf, der zwar immer noch mit einiger Kletterei verbunden war, aber im Vergleich zum Morgen deutlich leichter und schneller zu bewältigen war. An die Überquerung schloss sich ein phänomenaler Blick auf den polnischen Teil der Tatra an, der von einem wunderbar blauen Bergsee und den weißen, sonnenbestrahlten Wolken weit unter uns gekrönt wurde. Mit dieser Euphorie war der letzte Sattel des Tages ein Klacks. Leider wartete dahinter wieder eine Wolken- und Nebelsoße, die aber in Verbindung mit der grüner werdenden Landschaft, den weiteren grün-blauen Seen und den Bergziegen den Eindruck von Tolkiens Mittelerde erweckte. Erschöpft aber glücklich erreichten wir dann nach sechs bis sieben Stunden des Wanderns unser Nachtquartier. Dies zeichnete sich durch seine Größe, dem sozialistischen Baustil und dem noblen Inneren aus. Eine Vier-Sterne-Hütte würde es ganz gut treffen. Der Komfort im Zimmer war nicht von der schlechten Sorte, sodass wir uns ausgiebig auf den Betten ausruhten, eine heiße Dusche nahmen, durchschwitzte Sachen wuschen, mit den Daheimgebliebenen kommunizierten und das ausladende Abendbuffet in angemessener Weise nutzen. Nach weiteren unzähligen Skatrunden fielen wir dann ins Bett. Mit Blick auf den Wetterbericht nahmen wir uns vor, nicht zu zeitig aufzustehen: "Patschnass werden wir sowieso..."